weiss104
Ein temporäres Nationaldenkmal
Filomeno Fusco und Victor Kégli, 2000
Art in public space
Schloßfreiheit / Schloßplatz, Berlin
Der Begriff “Nationaldenkmal” wird im kulturellen Bewusstsein mit etlichen Bildern und Assoziationen verbunden. So fand er seine künstlerische Entsprechung in allerlei mythologischer Formen-Wirrnis, heroischen Herrscherbildern und versteinerten Allegorien.
Gemeinsam ist den meisten dieser überdimensionierten Monumente vor allem eines: sie transportieren mehr Distanz als Nähe zu den Ereignissen, die sie ursprünglich vermitteln sollten. Sie stehen als ewige Zeichensetzung einer vergangenen kulturellen, sowie politischen Identität; zeugen von national-monarchistischem Streben, religiösem Eifertum, fanatischer Despotie und revolutionären Paukenschlägen. Ziemlich aufgeladen also – und dennoch wirken die geschichtsträchtigen Relikte im Stadtbild oftmals wie riesige ‚Sperrgüter‘, die sich in das gegenwärtige nationale Selbstverständnis nicht richtig einpassen lassen.
Das so ein Erinnerungsstück nicht nur als Zeichen für eine bestimmte kulturelle Entwicklung stehen kann, sondern darüber hinaus ein Ort der Kommunikation und aktiven Auseinandersetzung mit Geschichte sein sollte, hat das im Herbst 2000 auf dem Schlossplatz in Berlin-Mitte realisierte “temporäre Nationaldenkmal” weiss 104 gezeigt: 104 Waschmaschinen wurden von Filomeno Fusco und Victor Kégli auf Sockeln entlang des zentralen Platzes installiert. Beginnend am 2. September, dem ehemals ersten deutschen Nationalfeiertag (Sedantag) hatte die Berliner Bevölkerung einen Monat lang die Möglichkeit, die Freiluft-Waschküche zur kostenlosen Reinigung ihrer Schmutzwäsche zu nutzen. In unmittelbarer Reichweite des Kanzleramtes entstand so eine Plattform, die von den Besuchern nicht nur zum Reinwaschen der alltäglichen Wäscheberge gebraucht wurde, sondern auch als Bühne für die Auseinandersetzung mit der ortsgebundenen Geschichte funktionierte.
Denn nicht zufällig wählten die Künstler den Schlossplatz als Ankerpunkt ihrer Aktion. Handelt es sich doch um einen geschichtlich-gesättigten Ort, der mehr als hundert Jahre lang als Repräsentationsfläche der nationalen Identität gebraucht worden war. Das diese sich rückblickend stets neu definieren musste und daher in ihrer jeweiligen Ausrichtung von ebenso eingeschränkter Dauer war, wie das nur 32 Tage währende Waschmaschinenfeld, lässt sich auch aus der wechselhaften Nutzung des Standortes ableiten.
War das unmittelbar an der Spree gelegene Areal Mitte des 19. Jahrhunderts noch einer öffentlichen Badeanstalt zugehörig, erhielt es 1897 einen offiziellen Charakter, als man hier – in Erinnerung der deutschen Reichsgründung – ein imposantes Standbild Kaiser Wilhelms I. enthüllte. Von den Nationalsozialisten wurde das Monument später zu einer der “Weihestätten des Reiches” erhoben, zahlreiche bedeutungsschwere Aufmärsche folgten. Die SED konnte dem überdimensionierten Denkmal weniger abgewinnen, ließ es schleifen und plante an jener Stelle die Errichtung eines antifaschistischen Mahnmals – dieses Vorhaben wurde jedoch letztendlich an einem anderen Ort verwirklicht. Was blieb, war ein leerer Platz im Zentrum des Berliner Regierungsviertels.
Fusco und Kégli nutzten als Erste diese “Freistelle der Erinnerung”, um, 104 Jahre nach der Enthüllung des wilhelminischen Denkmals, die Diskussion über Funktion und Notwendigkeit des Ortes als offene Kommunikationsfläche zu beleben. Und das zu einer Zeit, in der die deutsche Identität wieder einmal erheblich ins Wanken gekommen war.
Da war die unliebsame DDR-Vergangenheit, die man möglichst schnell vergessen wollte – und das nicht nur ideologisch sondern auch repräsentativ. Als Ergebnis wurden viele der kolossalen Bauwerke ehemaliger ostdeutscher Lebenswelt aus dem Stadtbild gesprengt.
Auch die “Partei der deutschen Einheit”, die CDU, hatte durch ihre Schwarzkontenaffäre für reichlich Zündstoff gesorgt. Das parteiinterne Fiasko fand zur Jahrtausendwende in der Medienberichterstattung seinen Höhepunkt und ließ die Christdemokraten mächtig Schlagseite erleiden.
Kein Wunder also, dass weiss 104 zu diesem Zeitpunkt mit allerlei Assoziationen bedacht wurde. Vom “Denkmal gegen das ‚Reinwaschen von Geschichte’”, dem “Kongress der Weißwäscher” oder “New Spin on German Art” war die Rede – um nur drei der unzähligen Titel zu nennen, mit denen die Presse das ungewöhnliche Kunstprojekt weltweit benannte.
Das große Medieninteresse steigerte auch die Diskussion auf dem Schlossplatz. Dabei stellte der Akt des Waschens die nötigen Rahmenbedingungen zum Dialog: Der Besucher war gezwungen, zumindest für die Dauer eines Waschganges vor Ort zu bleiben. Anschließend konnten die feuchten Textilien noch eine Weile auf der Leine trocknen, die entlang der ehemaligen Arkadenführung des wilhelminischen Denkmals verlief. Die Wartezeit wurde dafür genutzt, sich in das Gästebuch der jeweiligen Waschmaschine einzutragen und in einen Erfahrungsaustausch mit anderen Beteiligten zu treten – über historische Gegebenheiten, alltägliche Banalitäten oder politische Diskurse, die nicht zuletzt durch die besondere Topographie des Ortes bedingt waren. Auch fungierte die Installation als Projektionsfläche spontaner künstlerischer Darbietungen, wie Konzerte oder Lesungen und war Ausgangspunkt politischer Aktionen, so beispielsweise einer Bürgerinitiative gegen den Abriss des Palastes der Republik.
Damit knüpfte weiss 104 an die Tradition der Waschküche und ihrer Kultur des dort ‚mündlich Tradierten‘ an. “Die traditionelle Waschküche war ein Ort, an dem frei geredet und ‚getratscht‘ wurde. Gleichzeitig war sie aber auch immer ein Treffpunkt der demokratischen Meinungsäußerung und auch Meinungsbildung”, so die Künstler erklärend, “wir wollten einen Raum schaffen, der zum direkten Aktionismus und nicht zur passiven Betrachtung auffordert.” Eine Einladung zur Teilhabe also, die dem aktiven Diskurs um Geschichte zuträglicher war, als manch anderes, in Marmor gemeißeltes Historienrelief.
Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, fand die Installation ihren Abschluss. Insgesamt hatten über 5000 Waschendeunterschiedlichster sozialer, kultureller und politischer Hintergründe die offene Waschküche für sich nutzen können. Die Waschautomaten wurden zusammen mit ihren ‚Lebensläufen‘ – den Gästebüchern – im Rahmen einer öffentlichen Auktion versteigert und der Ort wieder seiner undefinierten Bedeutsamkeit überlassen. Das Medieninteresse an der nun über ein Jahrzehnt zurückliegenden Installation hat jedoch bis heute angehalten.
Katrin Diederichs